Der Flughafen Tempelhof gilt als „Mutter aller Flughäfen“. Und als architektonisches Statement der Zeit des Nationalsozialismus. Alles hier ist gebaut worden, um den Menschen klein aussehen zu lassen. Das Flughafengebäude ist etwa 1,2 Kilometer lang. Es besitzt eine Brutto-Grundfläche von 300.000 m², wovon ca. 200.000 m² Nutzungsfläche sind. Und doch konnten die Nazis ihren Koloss nie so nutzen, wie sie es eigentlich geplant hatten. Bis 1939 konnte nur der Rohbau fertiggestellt werden. Während des Krieges ruhten die Arbeiten und der Rohbau diente als Flugzeugmontagehalle. Danach übernahmen die Amerikaner das Areal. Während der Berlin-Blockade landeten hier alle paar Minuten Rosinenbomber zur Versorgung Westberlins. Danach war Tempelhof bis 2008 einer der großen Flughäfen Berlins. All das ist Geschichte. Was blieb, ist das größte Baudenkmal Europas, das nach einer neuen Verwendung sucht. Ich war dort auf Fototour.
Faszination Architekturfotografie
Architekturfotografie ist für mich für mich die Suche nach Geometrie, Perspektive und Proportion, nach Licht und Schatten, nach dem Spiel von Formen und Farben. Das fasziniert mich immer wieder. Ganz besonders dann, wenn Gebäude nicht nur Raum schaffen, sondern eine klare Botschaft senden.

Ein Beispiel ist der Flughafen Tempelhof, der wie kein anderes Bauwerk für den Größenwahn der Nazis steht. Der Architekt, Architekt Ernst Sagebiel, entwarf einen gigantischen Bau, der an einen Adler im Flug erinnern soll. Das Gebäude mit seinen riesigen Fensterachsen, monumentalen Pfeilern und einer strengen Symmetrie folgte einem klaren Konzept: Der Mensch sollte sich letztlich klein fühlen.
Doch auch ein Bau wie dieser entgleitet irgendwann seiner ursprünglichen Funktion. Tempelhof wurde nie wirklich fertig. Seine nationalsozialistischen Erbauer nutzten ihn kaum – stattdessen diente er als Flugzeugfabrik, später übernahmen die Amerikaner. Tempelhof war anschließend Militärstützpunkt, spielte während der Berliner Luftbrücke eine wichtige Rolle und wurde schließlich ein ziviler Flughafen, der bis 2008 in Betrieb war.
Tempelhof als internationaler Zuschauermagnet
Tempelhof zieht bis heute Menschen aus aller Welt an. Auch ich stand bereits mehrfach vor dem Gebäude. Immer wieder vergebens, da es verschlossen war. Tempelhof blieb ein weißer Fleck auf meiner Berlin-Karte. Irgendwann habe ich dann gesehen, dass spezielle Touren durch den Flughafen angeboten werden. Eine solche habe ich kurz vor meinem jüngsten Ausflug in die Hauptstadt gebucht.
Schon vor der Tour treffe ich dem Vorplatz des Gebäudes, dem sogenannten Ehrenhof auf Fotografen aus Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und aus Deutschland, die wie ich für eine vierstündige Tour angemeldet haben. Gemeinsam ziehen wir durch das Gebäude und betreten Räume, die so aussehen, als hätte jemand gestern erst die Tür hinter sich zugezogen. Obwohl wir uns vorher noch nie gesehen haben, entsteht schnell ein Gruppengefühl, das während der gesamten vier Stunden bleibt. Alle nehmen Rücksicht aufeinander und achten darauf, dass jeder zu seinen Fotos kommt.

Eingangs- und Abfertigungshalle: Gigantomanie in Beton gegossen
Startpunkt ist die riesige Empfangshalle. Heute würde man sie wohl einfach Windfang nennen. Dieser hier sprengt jedoch alle Dimensionen. Er sollte einst 15 Meter hoch und 90 Meter lang sein. Nach dem Krieg zog man jedoch eine Zwischendecke ein. Jetzt ist der untere Teil „nur“ noch 9 Meter hoch. Der obere Teil der Halle, der auch als „Ehrenhalle” bezeichnet wird, ist seitdem teilweise zerstört. Und immer noch mehr als fünf Meter hoch.



Anschließend geht es in die noch größere Abfertigungshalle. Einst wurden hier bis zu 4 Millionen Passagiere pro Jahr abgefertigt. Heute herrscht hier eine gespenstische Ruhe. Seit 2006 ist alles im Tiefschlaf und wirkt, als ob jemand damals die Zeit angehalten hat. Fotografisch ist dieser Mix aus Beton, riesigen Fensterfronten und den Flugschaltern der 90-er Jahre ein Traum. Nachdem unsere Begleiterin ein paar Worte zur Geschichte der Halle gesagt hat, haben wir ausreichend Zeit, den Raum aus allen möglichen Perspektiven abzulichten. Aber was heißt schon genug Zeit. Hier könnte man Stunden verbringen.






Es ist das Verdienst unserer Gruppenleiterin, uns an jeder Station ausreichend Zeit zu geben und trotzdem langsam weiterzuschieben. Denn hier gibt es noch so viel zu sehen. Nachdem wir die Abfertigungshalle durchquert haben, stehen wir im Flughafenrestaurant mit Blick auf das Flugfeld. Das eigentliche Restaurant ist leergeräumt, was den Raum nur noch beeindruckender macht.

Im amerikanischen Teil: Casino, Kapelle und Küche
Unsere Begleitung führt uns danach in den ehemaligen amerikanischen Militärbereich. Hier gab es einst ein Casino, in dem die GIs speisten, eine Kapelle und eine Küche. Alles eingerichtet im amerikanischen Stil, der so gar nicht zu dem Gebäude passen mag.



Über das Vorfeld in die Hangars
Höchste Zeit, sich den Flughafen von außen anzusehen. Dazu gehen wir auf das Vorfeld. Hier lassen sich die gewaltigen Ausmaße des Baus besonders gut erfassen. Dadurch, dass es in Richtung der Start- und Landebahnen halbkreisförmig angelegt ist, wirkt es noch größer. Auf dieser Seite ist der Bau architektonisch viel spannender als auf der Schauseite am Platz der Luftbrücke. Es macht einfach riesigen Spaß, hier mit dem Obejtiv auf Motivsuche zu gehen.






Nach einem kleinen Spaziergang über das Tempelhofer Feld öffnet unser Tourguide die Tür zu einem Hangar. Darin stehen drei historische Flugzeuge, darunter ein Rosinenbomber. Eine jener Maschinen also, die während der Berliner Luftbrücke im Minutentakt die etwa 2,2 Millionen Menschen West-Berlins mit allem versorgten, was sie zum Überleben brauchten, nachdem die sowjetische Besatzungsmacht die Land- und Wasserwege von der Trizone zu den West-Sektoren Berlins vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 durch die Berlin-Blockade gesperrt hatte. Auch das ist Teil der Geschichte des Flughafens, der damals ein rettendes Tor zur Welt war.








Abstieg in die Luftschutzräume
Überhaupt springt die Geschichte hin und her. Auch bei unserem Rundgang. Der nächste Bereich, den wir erkunden, sind die ehemaligen Luftschutzräume.
Es ist beklemmend, als wir in den Keller des Flughafens hinabsteigen. Ursprünglich wohl nur für die Angestellten des Flughafens eingerichtet, boten sie später auch den Anwohnern Schutz vor den zunehmenden Luftangriffen. Viele der Schutzräume waren bei Kriegsbeginn noch gar nicht fertigestellt, wurden aber dennoch provisorisch in Betrieb genommen.
Teilweise verfügten sie über Gasschleusen und waren mit einer Luftfilteranlage ausgestattet. Das macht die ganze Atmosphäre noch bedrückender.

Eine der vielen Absurditäten von Tempelhof ist, dass ausgerechnet in diesen kalten, von Stahl und Beton geprägten Räumen liebevoll gezeichnete Szenen mit Motiven von Wilhelm Busch an den Wänden zu sehen sind. Die kleinen, beinah heiteren Bilder sollten wohl Trost spenden oder wenigstens für einen kurzen Moment ablenken, während oben die Welt unterging.

Im Filmbunker: Auf den Spuren von Zelluloid, Feuer und illegalen Partys
Teil der gigantischen Kelleranlage ist auch der sogenannte Filmbunker. Die zweigeschossige, unterirdische Anlage wurde Ende 1937/Anfang 1938 errichtet und diente der Hansa Luftbild, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Lufthansa, als Archiv. Hier lagerte man empfindliches Material: hochentzündliche Zelluloidfilme, auf denen Luftbildaufnahmen für militärische und zivile Zwecke festgehalten wurden. Aufgrund ihrer Explosionsgefahr durften sie nicht in normalen Bürogebäuden aufbewahrt werden. Man lagerte sie daher ganz tief im Keller und hoffte, dass sie dort sicher sind. Vergebens. Nachdem der Bunker in den letzten Kriegstagen geöffnet worden war, entzündeten sich die Filme und die Kellerräume des Bunkers brannten komplett aus. Noch immer hängt der Rauchgeruch in der Luft, das Metall ist verbogen und der Beton an manchen Stellen geborsten. Nach dem Krieg fanden hier illegale Partys statt. Viele Besucher haben ihre Namen in die rußgeschwärzten Wänden hinterlassen.



Architektur im Wandel: Treppenhäuser zwischen Rohbau und Nachkriegsmoderne
Schließlich kommen wir noch an zweien der vielen Treppenhäuser vorbei. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein. Eines sieht so aus, als ob die Handwerker gerade zur Pause sind. Dabei ist es seit mehr als 80 Jahren im Rohbauzustand. Ein muffiger Geruch trifft hier auf nackten Beton. Stellenweise ragen Stahlstäbe aus den Wänden. Sie sehen aus wie Relikte eines unvollendeten Skeletts. Welch ein Gegensatz zum nächsten Treppenhaus, das von seinen Nutzern nach dem Krieg fertiggestellt wurde! Es ist streng geometrisch, hell und weiß.


Unsere Tour endete dort, wo sie begann: In der gigantischen Eingangshalle. Nach vier Stunden, die wie im Flug vergangen sind, sind wir alle etwas müde, aber restlos begeistert.
Mein Fazit:
Wenn du die Möglichkeit hast, an einer solchen Tour teilzunehmen, dann nutze sie. Lass dich treiben, schau genau hin und nimm dir Zeit. Und vor allem: Nimm genug Speicherkarten und Akkus mit! Denn an Motiven mangelt es hier wirklich nicht. Vor allem Architekturfans kommen hier voll auf ihre Kosten. Der Flughafen ist ein Paradies für Liebhaber von Farben, Formen, Flächen und Linien. Die grafische Wirkung der alten Tafeln, Bodenmarkierungen und Beschilderungen ist enorm. Wer genau hinsieht, entdeckt Logos von länst verschwundenen Fluggesellschaften, verschnörkelte Schilder zu Toiletten und Bars und eine Menge anderer Relikte vergangener Jahrzehnte im Retro-Look der 60er, 70er und 80er Jahre.
Fototipps für Tempelhof
Nimm Dir genügend Equipment mit. An allen Stationen hast Du ausreichend Zeit, verschiedene Optiken auszuprobieren. Ich hatte folgende dabei
- Das 7Artisans 9 mm F5.6 für Vollformat. Eine Linse mit sehr speziellem Anwendungsbereich, die bei Architekturaufnahmen jedoch ihr großes Potenzial entfaltet.
- Das Canon RF 15-30mm F4.5-6.3 IS STM Objektiv. Eine nicht ganz so krasse Weitwinkellinse, die sich in den engen Räumen im Keller, aber auch in der Abfertigungshalle bewährt hat.
- Das Canon RF 24-240mm F4-6.3 IS USM Objektiv als Universallinse für Weitwinkel und Detailaufnahmen
- Unverzichtbar ist ein Stativ. Die Lichtverhältnisse in den Innenräumen (v.a. Bunker, Luftschutzkeller, Abfertigungshalle, Kasino) sind herausfordernd
Was für eine wunderbare, einfühlsame und informative Beschreibung deiner Tour in den Gebäuden, über das Areal und die besonderen Motive …
technisch wie mit inspiriertem Auge brilliant eingefangen, dokumentarisch, eindrucksvoll, lieber Matthias.
Du weckst beim Leser -jedenfalls bei mir- ein unbändiges Verlangen, diesen Ort auf die To-Do-Liste für einen weiteren Berlin-Trip zu setzen.
Lieber Michael. Vielen herzlichen Dank für deinen netten Kommentar! Es freut mich sehr, dass dich meine Beschreibung und die Bilder so berührt haben. Tempelhof ist wirklich ein Ort voller Gegensätze und Geschichte – architektonisch beeindruckend, geschichtlich schwer belastet, ein Ort des Terrors, aber auch der Freiheit und fotografisch ein Traum. Die Tour kann ich tatsächlich nur empfehlen. Vielleicht klappt es ja mal gemeinsam. So oder so: Vielen Dank nochmal für deine schönen Worte! Ich habe mich darüber sehr gefreut.
Lieber Matthias, vielen Dank für deinen Bericht und die tollen Fotos. Du hast viele tolle neue Perspektiven gefunden, besonders gefällt mir die große Fensterfront. Ich war schon zweimal dort und bin jedes Mal total fasziniert von diesem Gebäude und der Geschichte. Vieles ist nicht greifbar oder man schüttelt nur fassungslos den Kopf angesichts des Größenwahns.
Ganz lieben Dank für Deine netten Worte. Ich habe auch das Gefühl, dass man da immer wieder hingehen kann und trotzdem immer wieder etwas Neues entdecken kann.