Venedig ist wohl die Sehnsuchtsstadt schlechthin. Alleine der Name weckt Assoziationen von romantischen Gondeln, die lautlos durch die unzähligen Kanäle gleiten, von alten und verwitterten Palazzi, die sich im Wasser spiegeln, von düster verwinkelten Gassen und von einer Stadt, die wie keine andere das Gefühl von zeitloser Schönheit und geheimnisvoller Eleganz vermittelt. Mit diesen Bildern im Kopf dürften die allermeisten in die Lagunenstadt reisen.
Doch wer heute tagsüber durch die Lagunenstadt geht, erlebt meist das Gegenteil. Kreuzfahrtschiffe spucken Tag für Tag Tausende Besucher aus, die sich durch Gassen und über Brücken schieben. Über Bahnhof und Flughafen kommen nahezu stündlich weitere Gäste hinzu. Die Stadt quillt über vor Menschen. Dazu versperren Verkaufsstände und grelle Schilder den Blick auf historische Fassaden. Und der Markusplatz, Inbegriff venezianischer Eleganz, ist mehr Durchgangsstation als Ort zum Verweilen. Muss das so sein? Nicht unbedingt.
Ich habe Venedig bei Nacht genossen und lieben gelernt. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Wer ein Nachtleben erwartet, ist in Venedig ganz falsch. Wenn die Tagestouristen längst wieder an Bord ihrer Schiffe sind und die Stadt langsam zur Ruhe kommt, beginnt eine magische Zeit für Fotografen und für alle, die das alte Venedig suchen. Für mich hat die Dunkelheit immer etwas Ursprüngliches. Gerade an touristischen Hotspots und ganz besonders in der Lagunenstadt.

Als ich dort zu später (oder besser gesagt sehr früher) Stunde durch die Gassen schlendere, sind sie menschenleer und nur vom fahlem Licht der alten Straßenlaternen erleuchtet. Außerdem ist es merkwürdig leise. Zu hören sind nur das leise Plätschern des Wassers in den Kanälen und fernes Glockengeläut. Manchmal faucht eine Katze. Davon abgesehen ist es still. Auf den Straßen und Gassen begegnet mir kein Mensch. Ab und an huscht ein Schatten vorbei und lässt erahnen, dass ich doch nicht ganz alleine bin. Das kann man unheimlich finden, ich aber fühle mich wohl nirgendwo so sicher wie nachts in Venedig.
So schön und verzaubert die nächtlichen Gassen auch wirken mögen: Sie sind ein Labyrinth. Es gibt kaum gerade Wege, nur manchmal Brücken über die Kanäle und vor allem viele enge Straßen, die irgendwohin zu führen scheinen. Um dann doch in einer Sackgasse zu enden. Ich verlaufe mich bei meinen nächtlichen Streifzügen mehr als einmal und muss nicht selten Hunderte Meter zurückgehen, um zur nächsten Kreuzung zu gelangen. Eigentlich will ich ganz ohne technische Hilfsmittel durch die Straße ziehen. Irgendwann gebe ich auf und mein Smartphone leitet mich durch die Stadt. Sorgt dafür, dass ich mich nicht komplett verliere.
Zumindest nicht geografisch. Denn vor meiner Tour habe ich mir eine kleine Karte mit den mir wichtigsten Sehenswürdigkeiten erstellt. Die kann ich ab jetzt in aller Ruhe ablaufen. Das geht ohne große Anstrengung. Das Zentrum von Venedig ist nicht groß und der Untergrund meist sehr eben.
Auf dem Weg zur Rialto-Brücke
Von nun an gehe ich gezielter vor. Und komme trotzdem kaum voran, weil sich mit jedem Schritt unzählige neue Motive auftun. Ich laufe vorbei an dunklen Plätzen und engen Kanälen. Das Wasser ist ruhig und wird durch die Langzeitbelichtungen noch glatter. So gelingen mir Fotos von Prachtbauten, die sich im Wasser spiegeln. Obwohl den meisten deutlich anzusehen ist, dass der Zahn der Zeit an ihnen nagt, versprühen sie diese unglaubliche Schönheit bröckelnder Ruinen, die so viele nach Italien zieht.


Ich laufe weiter über kleine Plätze, auf denen man sich tagsüber kaum aufhalten kann und stehe ganz plötzlich vor der Brücke schlechthin: Der Rialtobrücke. Auch sie ist menschenleer.

Ich baue meine Kamera auf der Brücke, darunter, daneben, etwas weiter weg oder ganz nah auf. Ich habe einfach Zeit, mich mit dem Bauwerk auseinanderzusetzen und viele verschiedene Perspektiven auszuprobieren. Wohl selten macht mir mein Hobby so viel Spaß wie jetzt in diesem Augenblick. Zum Abschluss stelle ich mich ganz oben auf die Brücke und fotografiere den Canal Grande entlang.

Der Markusplatz bei Nacht
Doch die Nacht ist jung und ich habe noch viel Zeit. Mein nächstes Ziel ist der Markusplatz. Wieder bleibe ich auf dem Weg unzählige Male stehen. Immer wieder blicke ich staunend in dunkle Gassen und Kanäle, deren Oberfläche vom Wind etwas in Bewegung gesetzt wird, was bei Langzeitbelichtungen zu schönen Effekten führt.

Venedig ist oft eng. Tagsüber sowieso, aber auch nachts sind viel Straßen und Gassen nicht gerade breit. Umso erstaunter bin ich, als ich plötzlich auf dem riesigen Markusplatz stehe. Er wirkt menschenleer komplett anders. Man mag es kaum glauben. Nachts verwandelt er sich in eine Bühne der Stille. Das Licht der Laternen taucht die Arkaden in warmes Gold und der leere Platz ebnet den Blick auf Markusdom und den Campanile. Auch hier ist es magisch. Selbst ohne Kamera würde ich den Anblick genießen. Die Ruhe und die Zeit, die ich nur für mich habe, um mir alles ganz genau anzusehen. Oder eben zu fotografisch festzuhalten.

Das Schöne an der Nachtfotografie ist, dass sie meist relativ stressfrei abläuft. So auch in dieser Nacht, wo ich immer wieder von links nach rechts sowie von hinten nach vorn über den Platz laufe, verschiedene Brennweiten und Perspektiven ausprobiere, mal durch die Arkaden fotografiere und mal über den leeren Platz. Schaue mir den Uhrenturm oder den Glockenturm ganz in Ruhe an. Alles ganz ohne Ablenkung oder störende Touristen. Und das fühlt sich an wie ein Geschenk. Ich drücke immer wieder auf den Auslöser und halte so eine Atmosphäre fest, die es am Tag schlicht nicht gibt. Fotografisch gesprochen würde ich sagen, man erlebt die Stadt aus einer anderen, ruhigeren Perspektive.
Um die Ecke geht es zum Dogenpalast
Die Sehenswürdigkeiten von Venedig sind fußläufig gut erreichbar. Vom Markusplatz ist es nicht weit bis zur Piazetta, wo der Dogenpalast steht. Meiner Meinung nach ist er das schönste Gebäude der Stadt. Nachts ist er durch die Beleuchtung vor dem dunklen Himmel einfach wunderbar freigestellt. Fast scheint er noch mehr zu strahlen als tagsüber. Auch hier habe ich alle Zeit der Welt, das Bauwerk aus allen Winkeln abzulichten und verschiedene Einstellungen auszuprobieren.

Der Blick von der Ponte dell’Accademia
Die Seufzerbrücke habe ich bereits tagsüber abgelichtet. Für heute lasse ich es dabei bewenden (was mich später ärgern wird), denn ich will noch zur Ponte dell’Accademia, wo der Sonnenaufgang spektakulär sein soll. Doch auf dem Weg zur Brücke zieht sich der Himmel immer mehr zu. Kurz überlege ich, ob es überhaupt Sinn macht, weiterzugehen. Aber irgendetwas treibt mich an. Vielleicht ist es die Hoffnung, dass hinter der nächsten Biegung doch noch etwas Licht wartet. Und ich werde nicht enttäuscht. Zwar bleibt der Sonnenaufgang hinter den Wolken verborgen, doch die sehen hier über dem Canal Grande einfach wunderbar spektakulär aus.

Außerdem treffe ich auf der Brücke erstmals an diesem Tag auf Menschen. Es sind Fotografen wie ich, von denen die allermeisten allerdings „nur“ für den Sonnenaufgang an der Accademia-Brücke aufgestanden sind. Schnell kommen wir ins Gespräch, plauschen ein wenig über Fotografie und genießen gemeinsam den tollen Ausblick. Auch ohne spektakulären Sonnenaufgang. Anschließend trinken wir noch einen Kaffee zusammen, ehe sich jeder auf den Heimweg begibt, um sich schlafen zu legen. Auf meinem Rückweg komme ich nochmals am Dogenpalast vorbei. Eigentlich bin ich jetzt echt müde. Und kann doch nicht anders als noch einen kurzen Stopp einzulegen und ein paar Fotos im ersten Morgenlicht zu machen. Kurz darauf beginnt das Tagesgeschäft. Und ich bin endlich im Bett.

Mein Fazit:
Es ist immer wieder anstrengend Nachts oder in den ersten Stunden des Tages aufzustehen. Aber es lohnt sich. Gerade in touristischen Hotspots wie Venedig. Wer sich hier sehr früh oder sehr spät durch die Gassen und über die Brücken bewegt, bekommt ein anderes Venedig zu sehen, versteht, warum die Stadt den Beinamen La Serenissima (=Die allerdurchlauchteste) trägt. Die warme Beleuchtung trägt ganz sicher zur Romantik bei. Hier muss man sich einfach wohlfühlen. Sicher sowieso. So, wie sich mir die Stadt nachts zeigt, habe ich sie mir vorgestellt. Das nächtliche Umherziehen fordert natürlich irgendwann seinen Tribut. Aber schlafen kann ich ja, wenn sich die Massen durch die Stadt quälen und von der Romantik des Ortes nichts mehr übrig bleibt.

Und hier noch einmal zusammengefasst:
Meine 10 Tipps für die Nachtfotografie in Venedig
- 📍Planung ist alles: Locations vorher scouten
Beginne bereits vor dem Urlaub damit, dir interessante Motive zu suchen. Vor Ort kannst du dann den Tag nutzen, um dir spannende Spots wie die Rialtobrücke, Markusplatz, kleine Kanäle schon einmal anzugucken und zu schauen, von wo du sie am besten ablichten kannst . - 🕰️ Fotografiere spät – oder sehr früh
Die schönste Zeit für die Nachtfotografie sind die Stunden nach Sonnenuntergang und vor Sonnenaufgang. Dann sind die Touristen weg sind und die Stadt dir allein gehört. Und die warme Beleuchtung der Stadt ist ein Traum. Magischer geht’s nicht. - 📱Smartphone als Navi nutzen
Venedig ist ein Labyrinth. Offline-Karten (z. B. Google Maps mit heruntergeladenem Kartenausschnitt) helfen, dich in den engen Gassen nicht zu verlaufen. Gerade nachts ist das hilfreich. Tagsüber weisen einem die Touristenmassen den Weg. - 📷 Stativ nicht vergessen
Ein kompaktes Reisestativ ist Gold wert. Für Langzeitbelichtungen, schöne Spiegelungen und scharfe Nachtaufnahmen ist es unverzichtbar. Notfalls musst du deine Kamera auf eine Mauer, einen Mülleimer oder ein Geläder stellen. Irgendetwas, das als Stativersatz taugt, findet sich fast immer. Mit Stativ bist du aber deutlich flexibler. Ich habe daher meist mein Rollei Compact Traveller No.1 Carbon dabei. Ein leichtes Stativ, dass sowohl im Fotorucksack als auch in den Reisekoffer nicht allzuviel Platz wegnimmt und vor allem sehr leicht ist (was ich bei längeren Touren sehr zu schätzen weiß). Sicher gibt es stabilere Stative. Ich besitze einige davon. Nur sind die oft unhandlich und stehen meist zuhause herum. - ⏱️ Lange Belichtungszeiten nutzen
Für leere Plätze oder glatte Wasseroberflächen setze ich auf lange Belichtungszeiten. Dafür stelle ich die ISO auf den niedrigsten Wert, schließe die Blende auf Werte um f/8 und belichte zwischen 10 und 30 Sekunden. Je nach Lichtsituation oder gewünschtem Ergebnis. Wen. du Blendensterne um Lichtquellen sehen möchtest, solltest du einen hohen Blendenwert (z.B. f/16 oder f/22) einstellen und die Belichtung dementsprechend anpassen. - 💡 Lichtquellen gezielt einbauen
Laternen, Schaufenster, Leuchtreklamen oder vorbeiziehende Boote sind echte Hingucker. Setze sie bei der Motivgestaltung ganz gezielt ein. Noch spannender sind Reflexionen, von denen es in Venedig unzählige gibt. Mit ihnen kannst du spannende Fotos von Motiven und Szenen einfangen. Tagsüber ist das schwer und kaum vorstellbar, aber Nachts, wenn die Kanäle kaum befahren sind, beruhigt sich das Wasser schnell und verwandelt sich in einen Spiegel, der Lichter, Brücken und Fassaden eine geheimnissvolle Symmetrie verleiht. - 🎒 Reise mit leichtem Gepäck
Lange bin ich nach dem Motto „Haben ist besser als brauchen“ verreist und habe dementsprechend mein ganzes Fotoequipment mit mir herumgeschleppt. Inzwischen bin ich da deutlich spartanischer. Neben dem oben erwähnten Stativ (siehe Tipp #4) packe ich meine Kamera, ein 24-240-er und noch ein 16mm Weitwinkelobjektiv ein. So bin ich für nahezu alle Situationen gerüstet und habe dennoch einen leichten Rucksack, der sich auch nach Stunden noch angenehm tragen lässt.. - 📸 RAW statt JPEG fotografieren
In der Nacht ist Dynamik gefragt. RAW-Dateien lassen sich besser bearbeiten und retten Lichter und Schatten, wo JPEGs an ihre Grenzen stoßen. Auch wenn Raws inzwischen einen großen Dymamikumfang haben, schieße ich zur Sicheheit meist Belichtungsreihen. Man weiß ja nie. - 🦶Langsam gehen, oft stehen bleiben
Nimm dir Zeit. Beobachte das Lichtspiel auf den Fassaden, das Wasser in den Kanälen und warte auf besondere Momente. Venedig schenkt sie dir. - 🎭 Die Atmosphäre einfangen – nicht nur das Postkartenmotiv
Zeige das Geheimnisvolle: dunkle Türen, leere Gassen, Spiegelungen, Schatten. Nachtfotografie in Venedig lebt vom Gefühl, nicht nur vom Motiv. Und manchmal kann man die Kamera auch einfach zur Seite legen und den Moment genießen.