Schwäbisch Hall? Nie gehört? Ach ja, die Bausparkasse! Vor allem im Norden verbinden viele die Stadt wohl mit der nach ihr benannten Bausparkasse. Aber Hall hat weitaus mehr zu bieten. Alte und neue Architektur, Kultur und Inspiration, enge Altstadtgassen und weite Plätze sowie der meist ruhig durch die Stadt fließende Kocher bieten ideale Bedingungen, um mit Langzeitbelichtungen zu experimentieren. Genau deshalb bin ich nach Sonnenuntergang losgezogen. Und wurde mit Motiven belohnt, die tagsüber kaum auffallen oder einfach langweiliger wirken. In diesem Beitrag nehme ich dich mit auf einen nächtlichen Streifzug durch die Stadt am Kocher.
Plan B: Schwäbisch Hall statt Langenburg
Seit Jahren zieht es mich einmal im Jahr in den Nordwesten Baden-Württembergs. Meistens nach Langenburg. In diesem Herbst habe ich jedoch zum ersten Mal eine Ferienwohnung in Schwäbisch Hall gebucht. Eigentlich nur, weil die Ferienwohnungen in der hohenlohischen Kleinstadt ausgebucht waren. Was zunächst nur als Notfallplan B gedacht war, erwies er sich am Ende als die beste Entscheidung.

Trotz trübem Novemberwetter konnte ich oft nachts oder früh am Morgen losziehen. Und genau dann entfaltet diese Stadt ihre ganz eigene Magie. Schwäbisch Hall ist schon tagsüber eine der romantischsten Städte Deutschlands, aber nachts ist sie einfach märchenhaft schön. Ich hatte Glück. Durch die Ferienwohnung im Herzen der Altstadt war ich in wenigen Minuten an fast jedem Fotospot, konnte mit den Motiven herumspielen, Perspektiven und Kompositionen ausprobieren und diese besondere Stimmung aufnehmen, die nachts über der Stadt liegt.
In der Altstadt
Besonders beeindruckend war für mich immer wieder das Altstadtpanorama vom Kocherufer aus. Die Lichter spiegeln sich im Wasser, die Fachwerkhäuser stehen wie gemalt aufgereiht, und über allem thront St. Michael. Solche Motive funktionieren nachts erstaunlich gut. Gerade im November, wenn Rauch aus den Schornsteinen aufsteigt und das Stadtlicht weiche Akzente setzt.

Eines meiner liebsten Motive ist der Blick durch die Bögen von St. Michael auf das Rathaus. Der romanische Rahmen aus Stein fasst das barocke Rathaus ein und zeigt, wie harmonisch Architekturstile aus verschiedenen Jahrhunderten zusammenpassen können.

Apropos Kirche: St. Michael ist selbst ein herausragendes Motiv. Im wahrsten Sinne des Wortes. Klassisch von vorne aufgenommen wirkt die hoch über dem Marktplatz thronende Kirche imposant. Die breiten Treppen, die den Bau mit dem Marktplatz verbinden, bilden schöne Fluchtlinien, die den Blick nach oben führen. Ein großartiges Spielfeld für symmetrische Weitwinkelaufnahmen, aber auch für die Suche nach architektonischen Details.



Aber St. Michael ist vielseitig. Vom Kocherufer aus gesehen wirkt die Kirche wie ein monumentaler Wächter über der Stadt, der fast schwebend über der Stadt thront. Und von der Seite aufgenommen, werden die riesigen Dimensionen des Gotteshauses deutlich. Hier lohnt es sich, herumzulaufen. Und wenn du schon einmal dabei bist, solltest du unbedingt einen Blick in die engen Seitengassen werfen, die einen herrlichen Kontrast zu dem weiten Platz rund um die Kirche bilden. Nachts sind sie spärlich beleuchtet und tragen so zur romantischen Stimmung bei.
Doch bleiben wir zunächst bei den Kirchen. Davon gibt es in Hall einige. Manche sind in ihrer Geschichte umgewidmet worden. So zum Beispiel der Josenturm. Einst war er Teil der Jodokus-Kapelle. Diese wurde um 1250 gebaut, als es die Gelbinger Vorstadt noch gar nicht gab. Nach der Reformation wurde die Kapelle aufgegeben. Ihr Turm wurde um mehrere Stockwerke erhöht und war schließlich Teil der Stadtbefestigung. Vor allem, wenn man sich dem Turm vom Busbahnhof aus nähert, ergeben sich tolle Motive. Aber auch von den Gassen rund um den Turm aus gibt es tolle Blickwinkel. Und auch hier lohnt es sich, den Turm mit etwas Abstand abzulichten, da er weit über die Umgebungsbebauung herausragt und der Fachwerkoberbau richtig zur Geltung kommt.


Eine weitere umgenutzte Kirche ist die Johanniterkirche. Das Bauwerk wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgestaltet und zeigt deutlich Spuren seiner langen Geschichte. Es weist romanische und gotische Elemente auf und ist für mich – nicht nur wegen der dort gezeigten hochkarätigen Sammlung alter Meister, darunter Gemälde von Holbein, Cranach oder Rembrandt – eines der absoluten Highlights in Hall. Auch als Fotomotiv mach sich die Kirche richtig gut. Dafür bieten sich verschiedene Perspektiven an: Entweder vom gegenüberliegenden Kocherufer aus oder mit einem starken Weitwinkelobjektiv direkt von der Seite.

Ein Abstecher zur Comburg
Als einziges der hier im Beitrag erwähnten Motive liegt die Comburg etwa zweieinhalb Kilometer außerhalb der Stadt, ist aber für geübte Wanderer ganz in etwa einer halben Stunde ganz gut zu Fuß (mit dem Bus, so er denn nachts fährt, dauert es genauso lange) zu erreichen.

Aber was ist sie eigentlich? Burg oder Kirche? Die Antwort lautet: ein bisschen von beidem. Benediktiner gründeten die markante Anlage im 11. Jahrhundert auf einem Umlaufberg über dem Kochertal. Der Würzburger Bischof Rudolph II. ließ die Anlage 1488 in ein adliges Chorherrenstift umwandeln. Es folgten zahlreiche Baumaßnahmen, bei denen auch die 460 Meter lange, umlaufende Wehmauer entstand, die das Ensemble noch eindrucksvoller wirken lässt. Von außen erscheint es seither wie eine mittelalterliche Festung hoch über dem Kochertal, im Inneren findet man jedoch einen sakralen Kern mit Kirche, Kreuzgang und klösterlichen Gebäuden. Ich könnte mich hier immer wieder stundenlang aufhalten.
Moderne Architektur im nächtlichen Hall
Doch es zieht mich weiter und nach all den geschichtsträchtigen Bauwerken habe ich Lust auf moderne Architektur. Der futuristisch anmutende Busbahnhof ist dafür ein guter Anlaufpunkt. Seine geschwungene und schnörkellose Dachkonstruktion steht in einem spannenden, aber doch sehr passenden Kontrast zur Altstadt mit ihren verspielten historischen Fassaden. Nachts entsteht rund um den Busbahnhof eine fast filmische Atmosphäre. Vielleicht liegt das daran, dass mich die Konstruktion stark an Raumschiff Enterprise erinnert. Aber davon mal abgesehen finden sich hier viele schöne grafische Motive und es lohnt sich, mit Langzeitbelichtungen herumzuexperimentieren. Vor allem, wenn die esrten Busse ein- und ausfahren.

Ein paar Schritte weiter setzt das Neue Globe Theater einen weiteren modernen Akzent. Obwohl es deutlich von dem 1599 in London errichteten Theater inspiriert ist, wirkt der Bau in Hall keineswegs wie eine Kopie. Und schon gar nicht altbacken. Trotzdem habe ich mich lange schwergetan, eine für mich stimmige Perspektive zu finden. Das gelang mir schließlich vom Kocherufer an der Straße Am Lindach aus. Leider führte der Kocher gerade Hochwasser und die Strömung war extrem stark, sodass sich trotz langer Belichtungszeit keine perfekte Spiegelung auf dem Wasser abzeichnete. Da muss ich irgendwann nochmal hin, auch wenn mir das Foto durchaus gefällt.

Und damit endet mein kleiner nächtlicher Streifzug durch Hall. Was ich gelernt habe? Manchmal ist Plan B der bessere und selbst im trüben November lassen sich tolle Motive finden.
Weniger ist mehr: Fotografieren mit leichtem Gepäck
Was gibt es sonst noch zu sagen? Früher habe ich tonnenweise Ausrüstung mit mir herumgeschleppt. Inzwischen bin ich dafür viel zu praktisch veranlagt. Man könnte auch sagen: zu faul oder zu erfahren. Ich lege bei meinen nächtlichen Streifzügen gerne weite Strecken zurück und bewege mich auch gerne um meine Motive herum. Damit die Fototouren entspannt bleiben, halte ich mein Fotoequipment bewusst klein: eine Kamera, ein leichtes Stativ und ein Ersatzakku genügen, um viele tolle Motive einzufangen, ohne dass das Gewicht mich bremst. Lediglich bei den Objektiven kann ich mich noch nicht so richtig entscheiden. Für nächtliche Stadtfotografie brauche ich nicht zwingend extrem lichtstarke Objektive. Wichtiger ist mir eine flexible Brennweite von Weitwinkel bis Tele. Und so habe ich meist mein 24-240er Zoom-Objektiv und die Canon RF 16mm Festbrennweite bei mir. Damit komme ich in nahezu allen Situationen gut klar.







