Grabsteine und Geschichten: Unterwegs auf den Friedhöfen Kiels

Das persönliche Hinterland beginnt vor der eigenen Haustüre. Bei mir liegt dort der Südfriedhof, der als erster Parkfriedhof Deutschlands gilt. Ich bin gerne dort unterwegs und mag die Ruhe, die ich dort finde. Aber auch die anderen Friedhöfe Kiels sind nicht nur aus fotografischer Sicht interessant. Sie sind reich an Geschichte und kunstvollen Grabmalen, die vom Leben der dort Bestatteten erzählen. In diesem Artikel lade ich dich zu einem visuellen Spaziergang über die Kieler Begräbnisstätten ein.

Die Schönheit des Vergänglichen

Jeder Grabstein erzählt eine Geschichte. Die kunstvollen Steinmetzarbeiten, die liebevollen Inschriften und die Vielfalt der Gräber spiegeln die Geschichte der Stadt wider. Hier ruhen Menschen, die einst ein Teil des lebendigen Kiels waren. Menschen, die die Geschichte der Stadt mitgeprägt haben, die mit ihrem Wirken dafür gesorgt haben, dass Kiel heute die Stadt ist, die wir kennen. Ihre Lebensgeschichten, aber auch die Trauer der Angehörigen sind in den Details ihrer Grabmäler verewigt. Außerdem sind die Gräber auch immer ein Ausdruck des jeweiligen Zeitgeistes. Gerade auf historischen Friedhöfen zeigen sie, wie sich die Bestattungskultur über die Jahrhunderte verändert hat.

Schlaf in himmlischer Ruh‘

Einer der schönsten und traurigsten Grabsteine ist der von Jutta Kutter auf dem Nordfriedhof. Jutta verstarb 1909 im Alter von nicht einmal zwei Jahren. Ihr Grabmal zeigt das Bildnis des schlafenden Mädchens, das Hans Damann nach dem Gemälde Sommeil der französischen Malerin Francine Charderon (1861–19289 modellierte. Das hat er auf der Rückseite des Grabmals auch so angegeben.

Die Vorlage von Francine Charderon. Bild: Francine Charderon artist QS:P170,Q19363569, Francine Charderon - Sleep, Beschnitt geändert von Matthias Süßen, CC0 1.0
Die Vorlage von Francine Charderon. Bild: Francine Charderon artist QS:P170,Q19363569, Francine Charderon – Sleep, Beschnitt geändert von Matthias Süßen, CC0 1.0
Das von Hans Damann gestaltete Grabmal auf dem Nordfriedhof.
Das von Hans Damann gestaltete Grabmal auf dem Nordfriedhof.

Aux Morts mit „erotischer Ausstrahlung“

Auf dem Südfriedhof findet sich eine weitere Arbeit Hans Dammans: Es ist die Skulptur „Aux Morts“ (Zu den Toten), die er auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1904 vorstellte. Für die Kieler Nachrichten ist sie „Germany’s next Topmodel zu Urgroßvaters Zeiten“. Der Autor des Textes ist mehr als begeistert von der Figur: „Die junge Frau ist wirkungsvoll in Szene gesetzt und hat eine unglaublich erotische Ausstrahlung.“ Ob das stimmt, muss jeder selbst beantworten.

Hans Dammans Skulptur „Aux Morts“
Hans Dammans Skulptur „Aux Morts“
Germany's next Topmodel zu Urgroßvaters Zeiten
Germany’s next Topmodel zu Urgroßvaters Zeiten?

Mit Blick nach Kopenhagen

Kunsthistorisch bedeutend ist auch das Grabmal von Henning Lass auf dem Südfriedhof. Es ist das einzige Werk des dänischen Bildhauers Edvard Eriksen in Deutschland. Das ist insofern interessant, weil Eriksens bedeutendstes Kunstwerk, „die kleine Meerjungfrau“ in Kopenhagen weltbekannt ist.

Männliches Pendant zur Kleinen Meerjungfrau: Das Grabmal Lass in Kiel
Männliches Pendant zur Kleinen Meerjungfrau: Das Grabmal Lass in Kiel

Meine Beobachtung zur Sepulkralkultur in Kiel: Skulpturen von Trauernden sind zum ganz überwiegenden Teil weiblich, ganz selten auch mal männlich. Bildnisse von Verstorbenen zeigen dagegen meistens Männer. Vermutlich wird das überall so sein, doch bin ich ganz gespannt auf deine Erkenntnisse.

Die Ruhe zwischen den Gräbern

Die historischen und oft parkähnlich gestalteten Kieler Friedhöfe sind sehr spannend und gleichzeitig tolle Naherholungsgebiete und werden von vielen tatsächlich auch so genutzt. Es ist erstaunlich, wie viel Ruhe man auf einem Friedhof finden kann. Ein Ort des Gedenkens, der Trauer, aber auch des Friedens und der Entspannung. Und ein Ort voller Leben. Die Gottesäcker sind allesamt kleine Naturoasen. Auf den Wegen wischen den Gräbern wird die Ruhe nur durchbrochen vom Zwitschern der Vögel und dem sanften Rascheln der Blätter. Ab und zu huscht ein Eichhörnchen durchs Bild und auf dem Südfriedhof leben im Sommer sogar einige Bienenvölker. Die Atmosphäre ist gleichzeitig traurig und beruhigend, und es ist diese Mischung, die mich anzieht. Außerdem finde ich inmitten von Gräbern und Gedenksteinen eine unerwartete Schönheit. Wer mag, kann auf Friedhöfen tief in die Kunsthistorie einsteigen, die Symbolik der Grabstätten entschlüsseln oder die unterschiedlichen Bestattungsriten der Religionen studieren. Verwitterte Grabsteine, von der Zeit gezeichnet, erzählen eine eigene Geschichte von Veränderung und Vergänglichkeit. Wer sich da tiefer einlesen will, findet auf Wo sie Ruhen und Kunst@SH reichlich interessanten Lesestoff. Mich haben beide Seiten zu langen Spaziergängen inspiriert.

Sonnenstrahlen im Nebel auf dem Südfriedhof
Morgennebel auf dem Südfriedhof.

Für mich sind die Friedhöfe Kiels daher weitaus mehr als nur Orte der Trauer. Sie sind Archive der Geschichte, Kunstgalerien unter freiem Himmel und Refugien der Stille. Ich bin immer wieder gerne dort. Zum Fotografieren, aber auch um einfach ein wenig Ruhe zu finden. Und es gibt immer etwas zu entdecken.

Ich lade dich ausdrücklich zu einer Entdeckungstour über die Friedhöfe in deiner Umgebung ein. Du wirst sehen: Es lohnt sich.

Fotografische Impressionen

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